Bayrisches Stelzengericht
Ob ich da rauf komm?
Zum Starten braucht man zarte Finger...
Scharfes Bürzel
Unwirsch auf der Pirsch
Hüften wie Sisi
Mehr braucht es nicht - zumindest sind Lamperln drin
Tolle Schräglagenfreiheit
Offroad perfekt vorgetäuscht
Volles Edelstahlrohr
Denn das Bike ist wirklich fürchterlich hoch. Aus ein paar Metern Entfernung sieht man es ihr noch nicht so richtig an, doch als ich daneben stehe, treibt mir die Sitzbank in gepflegter Bauchnabelhöhe tiefe Sorgenfalten auf die Stirn.
Den Namen der Challenge finde ich ja schon an sich eine geniale Schöpfung. Bei Xchallenge assoziiere ich sofort Scheidungsrichter und Alimente, und eine Herausforderung wird alleine schon der Aufstieg. Doch hat mir ein blauweiß gemusterter Jüngling geflüstert, dass es nicht um eine "Ex" sondern "Cross"-Challenge handle. Solche Nebensächlichkeiten beschäftigen mich wenig, als ich mich daran mache, die Sitzbank zu erklimmen, welche in etwa der Sitzhöhe eines Ottakringer Bierkutschenpferdes entspricht. Oben angekommen macht sich zum einen meine Hohenangst bemerkbar, zum Anderen klammert sich meine ganze Hoffnung an das einstellbare Luftfederbein. Leider haben sie es schon für meinen scheinbar ähnlich ängstlichen Vorgänger auf Wichtelgröße abgesenkt, sodaß mir nichts anderes übrig bleibt als die volle Kontrolle des Geräts einfach vorzutäuschen.
Wie ein betrunkener Kameltreiber eiere ich aus der Ausfahrt und muss mich dabei fürchterlich genieren. Schaut doch das gesamte Gerät nach echtem Sport aus, jeder Millimeter lechzt nach Dreck und Kies, wird es von mir trotzdem nur äußerst unwürdig über Asphalt und Straßenbahnschienen gelenkt. Zum Thema Unwürdigkeit hatte ich mir ja schon im Vorfeld so meine Gedanken gemacht. Das Schlimme daran ist nur, wenn man eingangs bereits ahnt, unwürdig zu sein, darauf hofft, dass es schon nicht so schlimm sein wird, und dann feststellt, dass es noch viel schlimmer ist. Mit Vorbehalt und größtem Respekt vor der Stelze kämpfe ich mich durch die innerstädtische Blechkolonne.
Mein Ziel: nichts wie raus aus der Stadt und auf zu gepflegten Landstraßen. Dort erfahre ich jedoch Verkehrserziehung der besonderen Art. Die Stelze flößt mir derart Respekt ein, dass ich die Hunderter-Marke nur ein einziges Mal zu Testzwecken übertauche, und das mit zusammen gebissenen Zähnen. Ist wahrlich kein Spaß auf so einem Gerät. Schlimmer als die Geraden sind nur die Kurven auf den Nippelreifen. Hallelujah, was hab ich mich gefürchtet. Daraus ergab sich für mich nach kürzester Zeit ein völlig neuer Fahrstil, in dem das Recht des Schnelleren auf Herbrennung eine Neudefinition erfuhr.
Schneller, das sind all die Anderen - so weit nichts neues. Nur: ich cruise gemütlich dahin, und vergesse sekundenweise sogar meine Furcht. Wenn mich ein Supersportler in der Kurve inhaliert, dann rüttelt das kein bischen an meinem Stolz. Der klammert sich nämlich verzweifelt am schmalen Tank fest, den BMW zwecks Schwerpunkt-Optimierung unter die Sitzbank verbaut hat, und betet, dass wir dieses Mal den Abflug einfach auslassen.
Als ich schließlich jedoch die dreihundertste Feldwegabfahrt passiere, kann ich mich nicht mehr halten. Ein bißchen Heimat muss ich dem Bike schon gönnen. Trotz strengstem, selbst auferlegtem Offroadverbot entere ich einen friedlichen Feldweg mit zarter Schottergarnitur. Die Erwartung ist groß - jetzt wird alles anders. Entschlossen wringe ich den Gasgriff auf Anschlag, und jage die Challenge über den Feldweg der Sonne entgegen, als mich rechterhand ein Zitronenfalter mit spastischen Flappen überholt. Keine Ahnung, was der eingeworfen hat, dass er Offroad so mächtig vollstreckt, aber bei mir ist wieder einmal der psychische Drehzahlbegrenzer am werken, der bereits sanft das Ende meines Heldenmutes verkündet.
Ganz anders sieht es mit dem Begrenzer des Einzylinder-Hammers aus. Habe den aus Versehen ausprobiert, weil das Eisen nämlich keinen Drehzahlmesser hat. Vorher hat sie schon geschrieen, eh klar. Als es plötzlich so weit war, habe ich dann geschrieen. Unglaubliche Härte. Den Begrenzer des Einbaums muss man sich in etwa so vorstellen, dass einem jemand die Pummerin überstülpt, drei Mal von außen fest drauf haut, und dann "Dreeeeeehzahlbegrenzer" rein brüllt. Keine schöne Sache. Er lässt dich natürlich nicht absteigen, aber setzt eben hart und deutlich ein.
Nachdem ich zu Ende sinniert habe, schiebt sich ein seitlich abzweigender Feldweg in den Fokus meiner Aufmerksamkeit. Wär doch ein Hammer, mit dem Gerät auch einmal eine Kurve zu fahren. Spontan zerre ich meine Erinnerungen an die letzte Motocross-Übertragung im Fernsehen hervor, und rutsche im Sattel extraweit nach vorne. "Reiss Dich zam" maßregle ich mich in Gedanken "einfach hinten deftig anbremsen, im Slide ohne Gnade umlegen, und dann voll Anrauchen". Und wieder ist keiner zum Fotografieren da, wenn ich meine lässigste Aktion abziehe. Als es soweit war, bin ich freilich ganz normal geradeaus weiter gefahren. "Hoffentlich hat das keiner gesehen" denk ich mir, gefolgt von "na und, dann wollt ich halt geradeaus fahren". Was für eine Niederlage. Vielleicht nächstes Mal.
Im großen und ganzen hat sich der Ausflug auf den Feldweg aber gelohnt. Habe nicht gemeiert und das Eisen mit einer einzigen Lacke so eingesaut, dass ich beim Zurückgeben bei BMW anerkennende Blicke geerntet habe. Sah nach mittelschwerem Offroad-Einsatz aus. Tarnen & Täuschen ist alles.
Obwohl die Challenge nicht für den Straßenbetrieb gebaut ist, muss ich doch zwei unerwartete Qualitäten der unsachgemäßen Verwendung hervorheben. Zum einen den Sattel, der nach purer Folter aussieht, sich aber als überraschend bequem herausgestellt hat. Wäre kein Stelzengerät daran montiert würde ich damit schon längst quer mit rauchendem Hinterreifen einbiegen, und Vollstrecken wie ein Einser - Ehrenwort! Die zweite Qualität ist das unglaubliche Offroad-Fahrwerk. Das hutscht zwar manchmal wie mein altes Schaukelpferd, doch bügelt es Fahrbahnunebenheiten glatt, die mir meine Suzi sonst als Startrampen für den gepflegten Mondflug meldet. Den Großteil an Schlaglöchern und Querrillen kann man getrost ignorieren und einfach entspannt drüberfahren - die Challenge bügelt sie alle glatt. Mit einem Seufzen stelle ich mir vor, welche irren Manöver ein Würdiger auf diesem Eisen wohl abgezogen hätte. Ich für meinen Teil hatte aber einfach meinen Spaß, veredelt mit den langen Atemzügen nackter Angst. Was für ein Gerät.
Text und Fotos: Clemens Prerovsky
Motor | Wassergekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, vier Ventile, zwei obenliegende Nockenwellen, Trockensumpfschmierung | Endantrieb | Endlos O-Ring-Kette mit Ruckdämpfung in der Hinterradnabe | |
Bohrung x Hub | 100 mm x 83 mm | Abmessungen (LxB, in mm) | 2.205 x 907 | |
Hubraum | 652 ccm | Radstand (in mm) | 1.500 | |
Verdichtung | 11,5 : 1 | Sitzhöhe (in mm) | 930 mm (niedrige Sitzbank: 910mm) | |
Gemischaufbereitung | Elektronische Saugrohreinspritzung / BMW-Motormanagement, Doppelzündung | Bodenfreiheit (in mm) | k.A. | |
Max. Leistung | 39 kW (53 PS) bei 7.000/min | Tankinhalt | 9,5 Liter | |
Max. Drehmoment | 60 Nm bei 5.250/min | Bereifung | vorn: 90/90 S 21 hinten: 140/80 S18 |
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Starter | Elektrostarter | Radaufhängung | vorne: Upside-down Teleskopgabel, Ø 45mm, Zug- und Druckstufe einstellbar hinten: Zweiarm-Aluminiumgussschwinge, Air Damping System, Federvorspannung und Dämpfung über Luftdruck stufenlos einstellbar |
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Getriebe | Klauengeschaltetes Fünfgang-Getriebe im Motorgehäuse integriert | Bremsen | vorne: Einscheibenbremse, Durchmesser 300 mm, Doppel-Kolben Schwimmsattel hinten: Einscheibenbremse, Durchmesser 240 mm, Ein-Kolben Schwimmsattel |
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Leergewicht (fahrfertig) | 156 kg | Gesamtgewicht | 335 kg |
Datum der letzten Änderung: 20.2.2008
Die
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